ER, das Licht der Welt

Gedanken zu Ostern von Diakon Winfried Reers

 

Was wir brauchen ist ein Christentum zum Anfassen! Jeden Tag haben wir genug Gelegenheit, es dort zu leben, wo wir sind.
So lasst uns fröhlich sein und uns freuen! Halleluja!

 

Liebe Lydiaschwestern,

 

Ganz dunkel ist es, wenn am Abend das Osterfeuer gesegnet und die neue Osterkerze angezün-det wird. Dunkel ist es auch in der Kirche, wenn die brennende Osterkerze hereingetragen wird und zwei Worte die Dunkelheit durchbrechen: „Lumen Christi – Christus, das Licht!“ Und als Bekräftigung, dass das stimmt, antwortet die versammelte Gemeinde: „Deo gratias – Dank sei Gott!“
Deo gratias. Ja, Gott sei Dank, dass Jesus von den Toten auferstanden ist! Gott sei Dank, dass ER, das Licht der Welt, Licht in das dunkle Grab, Licht in die Nacht des Todes gebracht hat! Ja, Gott sei Dank; denn ER, der das Leben ist, der Schöpfer alles Lebendigen, ER zeigt klar und deutlich und macht es aller Welt kund, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern das Leben.
Wir modernen Menschen, die vom technischen Fortschritt so verwöhnt sind, wir können uns wahrscheinlich ein Leben ohne elektrischen Strom kaum vorstellen, eine Zeit, in der nur Kerzen und Öllampen am Abend Küche oder Wohnstube spärlich erleuchteten. Die Menschen vor mehr als 100 Jahren wussten wahrscheinlich noch besser als wir heutigen, was es heißt, dunkle, schwere Zeiten durchzustehen. Nicht nur, weil sie noch kein elektrisches Licht kannten, das auf Knopfdruck ein ganzes Haus taghell erleuchtet, sondern deshalb, weil sie dunkle und schwere Zeiten ganz existenziell, noch unmittelbarer an Leib und Leben erfahren haben als wir. Notzeiten und der Kampf ums Überleben waren für die Menschen vor 150 Jahren nichts Ungewöhnliches, sondern eher die Regel.Aber auch wir modernen Menschen bleiben, wenn wir genauer hinschauen, trotz allen Fortschritts von dunklen, schweren Zeiten nicht verschont.
Meistens aber spielt sich das im privaten Bereich ab, wenn jemand über Jahre gegen eine tückische Krankheit ankämpft und als Folge der Krankheit alle Höhen und Tiefen mitmacht – ein Leben zwischen Hoffen und Bangen, wie es viele Familien im Laufe der letzten Jahre hier erfahren haben. Und dann, so scheint es vordergründig, hat nach langem Kampf doch die Krankheit, der Tod gesiegt. Auf den ersten Blick scheint das so zu sein. Als Christen aber können wir wegen Ostern sagen, dass das so nicht zutrifft!
Von Pastor Dietrich Bonhoeffer, der 1945, acht Tage nach Ostern, im KZ Flossenbürg in der Oberpfalz hingerichtet wurde, stammt der Satz: „Wer an Ostern glaubt, der kann nicht verzweifeln.“ Diese Worte können nur von einem gläubigen Menschen kommen, der am eigenen Leib alle Höhen und Tiefen von Not und Verzweiflung durchlitten hat, so wie Dietrich Bonhoeffer.

 

Er saß seit dem 5. April 1943 in Einzelhaft im Gefängnis. Am Sonntag nach Ostern, am 8. April 1945, nach einer Morgenandacht mit anderen Gefangenen, wurde Bonhoeffer überraschend gerufen. Die Türe wurde aufgerissen, und es hieß: „Gefangener Bonhoeffer, fertigmachen und mitkommen!“
Bonhoeffer konnte noch seine Sachen zusammensuchen. „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens“, das sind die letzten von Bonhoeffer überlieferten Worte. In der grauen Morgendämmerung des 9. April 1945 wurde er hingerichtet.

Dunkelheit und Tod auf der einen Seite sowie Licht und Leben auf der anderen – diese Gegensätze bestimmen die österliche Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi.
Ostern sagt uns, dass sich das Licht und das Leben durchgesetzt haben, dass das Leben gesiegt hat!
In der Nähe von Piemont in Frankreich gibt es einen alten Brauch. Wenn am Morgen des Ostersonntags zum erstenmal die Glocken läuten, laufen Kinder, Jugendliche und Erwachsene an den Dorfbrunnen und waschen sich die Augen mit dem kühlen, klaren Brunnenwasser. Manche wissen wahrscheinlich garnicht mehr, warum sie zum Brunnen laufen, – wie sooft bei Bräuchen – sie rennen einfach mit den anderen mit. Aber die ganze Handlung war ursprünglich eine Art Gebet, in dem die Menschen um neue Augen, um Oster-Augen beteten.Sie wollten besser sehen, besser einsehen können, was durch die Auferstehung Jesu denn anders geworden ist in ihrem Leben, im Leben aller Menschen. Sie wollten besser den Jesus sehen können, der nicht mehr tot ist, sondern lebt – mitten unter uns.

Was wir Christen brauchen sind solche Oster-Augen! Was wir brauchen ist ein Christentum zum Anfassen! Jeden Tag haben wir genug Gelegenheit, es dort zu leben, wo wir sind.  

So lasst uns fröhlich sein und uns freuen! Halleluja! 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen und Ihren Familien ein frohes und gesegnetes Osterfest.

Winfried Reers, Diakon
Geistlicher Beirat der Rheinbreitbacher Gruppe des KKF