Das Hauptwesensmerkmal einer Mutter ist ihr Herz

Predigt von Diakon Winfried Reers in Banneux 2014

Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.  Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu  seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an  nahm sie der Jünger zu sich. Danach, als Jesus wusste, dass nun alles vollbracht war, sagte er, damit sich die Schrift erfüllte: Mich dürstet. Ein Gefäß mit Essig stand da. Sie steckten einen Schwamm mit Essig auf einen Ysopzweig und hielten ihn an seinen Mund. Als Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach er:  Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf.

Johannes 19, 25 – 30

Liebe Lydiaschwestern,

vor einigen Jahren habe ich in der Zeitung folgende Meldung gelesen: Ein holländischer Frachter fand im Pazifischen Ozean ein kleines Schlauchboot, das steuerlos im Meer trieb. Darin lag bewusstlos ein achtzehnjähriger australischer Matrose. Der junge Mann hatte sich zunächst freiwillig zur Marine gemeldet, war aber von seinem Dienst bald enttäuscht und beschloss eines Tages zu desertieren. In einer Nacht ließ er ein kleines Schlauchboot auf See nieder und verließ heimlich das Schiff, auf dem er Dienst tat. Im Glauben, er befinde sich noch nahe an der Küste, ruderte er los. Tatsächlich war das Schiff aber schon vierhundert Seemeilen von der Küste entfernt. So trieb der Junge  neunzehn Tage auf dem Meer. „Es war schrecklich“, berichtete er nachher über seine fast dreiwöchige Odyssee im Pazifik. Er hatte weder Wasser noch Lebensmittel bei sich. „Das Schlimmste aber“, sagte er, „war die Langeweile. Ich hatte ja nichts zu tun. Am meisten dachte ich an meine Mutter und daran, dass ich sie unbedingt wiedersehen wollte.“ Immer wieder sagte er das zu allen Leuten, die ihn nachher im Krankenhaus besuchten: „Ich habe nur überlebt, weil ich an meine Mutter dachte!“
Wir alle wissen, wie wichtig eine Mutter für jeden Menschen ist. Nicht nur, dass sie uns das Leben schenkt, sondern dass sie auch für uns da ist. Ohne die Zuneigung, ohne die sorgende Zärtlichkeit und ohne Liebe kann ein Mensch nicht zu einem erfüllten Leben finden. Eine Mutter ist für ein Kind nicht nur lebensnotwendig, sie ist die erste und wichtigste Bezugsperson. Das menschliche Leben ist ohne die Mutter nicht denkbar. Und so sind auch die Gedanken des Kindes ein Leben lang bei seiner Mutter, auch dann noch, wenn sie längst die Augen geschlossen hat. Was wir unseren Müttern verdanken und was wir von ihnen gelernt haben, bleibt ewig in Erinnerung und auch im Herzen.
Von daher ist es auch verständlich, dass Gott eine Frau auserwählt, um seinen Schöpfungsgedanken zu bestätigen und damit auch sein Heilswerk. Gott wählt ein junges Mädchen aus, keine erwachsene und im Leben erfahrene Frau, sondern ein einfaches Mädchen, das ihm glaubt und vertraut. Gott hat eine Mutter für seinen Sohn ausgewählt, die von nun an sein ganzes Leben uneingeschränkt mit ihm geteilt und gelebt hat. Und Jesus hat Maria als seine Mutter angenommen und auch in seiner Menschlichkeit die Mütterlichkeit Mariens gebraucht und für sich in Anspruch genommen und so die Mutterliebe erfahren.
Wie eindrucksvoll schildert uns der Evangelist Johannes doch diese eben im Evangelium gehörte Szene, wo Jesus unter dem Kreuz dem Jünger und damit der Kirche Maria zur Mutter gibt. Die Kirche, die von Jesus selbst gegründet ist, erhält von ihm selbst die Mutter, die von nun an die Mutter der Jünger und der Kirche ist.

Das Hauptwesensmerkmal einer Mutter ist ihr Herz.
Im Herzen ist das Kind zutiefst angenommen und aus dem tiefsten Herzensgrund der Mutter wird ein Kind geliebt. In diesem Augenblick unter dem Kreuz hat Jesus ein neues Liebesverhältnis gestiftet, indem er Maria seinen Jüngern und der Kirche anvertraut hat. Die Kirche steht im Auftrag Jesu unter dem mütterlichen Schutz Mariens. Und Maria hat uns Christen immer wieder auch Zeichen gegeben, dass sie bei uns ist, dass sie unseren Pilgerweg auf dieser Welt und durch diese Zeit mitgeht, dass sie uns mütterlich beschützt und vor allem, dass sie uns Trösterin, Fürsprecherin und Mittlerin in allen unseren Nöten bei ihrem Sohn ist. Die vielen Wallfahrtsorte in aller Welt und auch gerade hier in Banneux, wo seit 81 Jahren die Menschen Maria verehren und anrufen.
Die vielen Lebenserfahrungen und die persönlichen Lebenszeugnisse, Bilder und Votivtafeln zeigen und beweisen uns das. Deswegen dürfen wir als Kirche, gerade heute in unserer so zerbrochenen Welt und unruhigen Zeit, die Bindung und die Beziehung zu Maria niemals aufgeben. Wir müssen immer wieder an sie denken, so wie der junge Mann in der Geschichte. Wir sollten uns ihr vielmehr noch stärker und intensiver anvertrauen, weil sie auch uns ihre mütterliche Zuneigung schenkt und uns dadurch zu ihrem Sohn Jesus Christus, ins Zentrum der Kirche, führt. In den vielen leidvollen Erlebnissen, die jeder von uns durchlebt, brauchen wir dennoch keine Angst zu haben oder uns klein zu machen, denn gerade in diesen Augenblicken dürfen wir uns dem Schutzmantel der Gottesmutter und ihrer heilenden Nähe und Begleitung sicher sein. Altpapst Benedikt XVI. hat einmal zu Pilgern gesagt: „Wenn das Leben unerträglich wird, wenn ihr versucht seid, dem Leben den Rücken zuzuwenden, dann wendet euch an Maria.
Ihr mütterlicher Beistand, ihr gütiges Lächeln, ihre innige Zuneigung geben neuen Lebensmut. Gerade in dunklen Stunden können wir schöne Dinge entdecken. Dasein für andere, ein warmer Händedruck, eine innige Umarmung, gemeinsam Schweigen, ein offenes Ohr. Wenn wir die Schattenseiten des Lebens kennenlernen, dann leuchtet auch so manches Schöne auf, wo Menschen Zeit finden, um für andere da zu sein.“
Maria nennt sich nicht Königin oder Dame, sondern sie nennt sich die Jungfrau der Armen. Vertrauen wir uns deswegen heute bei unserer Wallfahrt  hier in Banneux der Jungfrau der Armen, unserer Mutter Maria an. Dann sind wir auf der sicheren Seite des Lebens. Amen.

Diakon Winfried Reers( Predigt Banneux 2014 )